Verschenkte Zeit

Wie geht es Floorball-Deutschland nach eineinhalb Jahren Pandemie wirklich? So lala, meint Jan Kratochvil in seinem Kommentar. Die Fallhöhe war davor nicht besonders schwindelerregend. Verschlafen haben wir aber trotzdem.

Hätte alles schlimmer kommen können? Vielleicht. Aber das kann es eigentlich immer, solange die Sonne die Erde noch nicht verschluckt hat. Weil die wirtschaftliche Gesundheit von Floorball wegen seiner kompakten Größe weder von Zuschauer- noch von Mediengeldern abhängig ist, dürften es die meisten Teams, von klein bis groß, vielleicht mit etwas Großzügigkeit ihrer Sponsoren, bislang irgendwie über die Runden geschafft haben.

Der vergleichsweise geringe Mitgliederschwund sollte aber kein Grund zu übertriebener Euphorie sein (mehr Infos im Interview mit Hauke Hillmer). Denn tatsächlich besteht ein vergleichsweise großer Teil der etwas über 13.000 Mitglieder aus Nicht-SpielerInnen, die Trainingsausfälle im Zweifel gar nicht bemerken. Der bereinigte Austritt Aktiver dürfte also größer ausfallen als die 2,4 %. Und die endgültige Zahl wird sich sowieso erst 2022 zeigen, wenn die diesjährige Saison mit einberechnet wird.

Sinnvolle Schritte an paar Ecken

Die Corona-Zeit verlief ruhig, meist geprägt von Warten auf irgendetwas. Totaler Stillstand herrschte aber nicht. Die vom Verband angestoßene Kooperation „Floorball: Fit For Future“ beispielsweise dürfte durch den gemeinschaftlichen Anspruch der beteiligten Länder tatsächlich etwas vorantreiben. Jedenfalls können Knowhow und ein milder Druck von außen nur hilfreich sein.

Ein Beispiel sind die Bemühungen beim Thema Street Floorball. Zwar könnte man bemängeln, dass es in der Hallen-Variante eigentlich genug zu tun gibt und eine neue Front nur unnötige Aufmerksamkeit kostet. Doch haben die Topnationen bewiesen, dass Floorball in Outdoor-Form einfacher neue Zielgruppen erschließen lässt, die später auch den Weg in die Halle finden. Nicht unbedingt die Parade-Disziplin des deutschen Verbandes. Hinzu kommt die mancherorts desaströse Hallensituation sowie die Aussicht, dass bei einer erneuten pandemie-ähnlichen Situation Außenanlagen zugänglicher sein werden.

Hoffnung schürt auch die gestiegene Aktivität des Dachverbandes in den Sozialen Medien. Besonders sympathisch, die Serie über Floorball-Vereine bundesweit. Und sofern sich niemand auf sportdeutschland.tv versteift, dürfte auch die neue Arbeitsgruppe Livestream dafür sorgen, dass Floorball im Jahr 2021 endlich einen sinnvollen Schritt beim Thema Bewegtbild macht.

Schließlich die Nationalteams. Auch hier schien reger Betrieb zu herrschen. Zuletzt sogar in Form von live übertragenen Trainingslagern. Den größten Umbruch erlebte sicherlich die Herren-Nationalmannschaft. Bedingt durch einen etwas aufwühlenden Rücktritt des vorherigen Trainerstabs, scheint das Team nun bei Sportdirektor Atte Ronkanen und Bundestrainer Martin Brückner doch in guten Händen gelandet zu sein.

Verzerrte Entwicklung

Über die Bundesauswahlen hinaus dürfte die sportliche Situation aber weniger rosig aussehen. Jede/r weiß, wie unangenehm eine derart lange Trainings- und Spielpause ausschlägt. Und wenn man so will, hat unsere gesamte Szene gerade zwei aufeinanderfolgende Kreuzbandrisse überwinden müssen. Wobei das Schicksal nicht alle gleichermaßen traf.

Denn während in Deutschland sämtlicher Spielbetrieb eingestellt wurde, liefen die Ligen in den professionelleren Topnationen Schweden, Tschechien, Finnland und in der Schweiz munter weiter. Und nicht nur dort, sogar Lettland spielte seine Liga aus. Welche sportliche Verzerrung entstanden ist, werden wir im Laufe der kommenden internationalen Saison erfahren.

Aber auch in Deutschland selbst gab es erhebliche Unterschiede. Während einige Vereine die Pandemie in der Halle größtenteils durchtrainierten, haben SpielerInnen woanders gute acht Monate lang keinen Schläger in der Hand gehalten. Insbesondere bei jüngeren Jahrgängen, dürften die insgesamt eineinhalb verlorenen Saisons bitter zu Buche schlagen.

Und doch wäre es unnütz, hier fehlende Solidarität anzuprangern. Hätten sie gedurft, hätten die meisten Teams vermutlich nicht anders gehandelt. Trotzdem sollte dieser Umstand zumindest zur Kenntnis genommen werden, weil manche Teams mehr werden nachholen müssen als andere. Und dass diese Verzerrung noch andauern wird, steht ebenfalls fest. Das nächste Beispiel ist die U19-WM der Damen Anfang September, an der statt sechzehn nur neun Auswahlen teilnehmen werden.

Nächste Chance verpennt

Nun lässt sich gegen all das nicht viel tun, zumal oft auch gar nicht klar ist, welcher Weg der richtige oder falsche ist. Was aber fast schon peinlich wirkt, ist der Kälteschlaf der Bundesligen. Bis auf die Symptombekämpfung der Corona-Task-Force in der vergangenen Saison und die bereits angesprochene Arbeitsgruppe Livestream, scheint mit und um die Vorzeigewettbewerbe unserer Sportart nicht viel passiert zu sein – mit Ausnahme jener Farce in Hessen.

Ein Versagen aller Beteiligten, der Vereine und des Verbandes. All die Abende, die man sonst in der Sporthalle verbracht hätte, war man jetzt verdammt gewesen, zuhause zu bleiben… und zu warten. Doch statt sich zu verbinden, statt Arbeitsgruppen zu bilden, statt Ideen zu formulieren, sie zu planen und gemeinsam umzusetzen, statt all dessen, ließ man die Zeit verstreichen und wartete. Und deshalb wird trotz langer Kreativpause die Bundesliga weiter ebenso formlos dahinvegetieren wie sie es schon seit Jahren tut – ohne Spieltagskonzept, ohne Medien- und ohne Arbeitsplattform, ohne PR-Strategie, ohne einheitliches Erscheinungsbild, ja sogar ohne zeitgemäße Statistik – ohne alles, was eine Trendsportart auszeichnet.

Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass die Spitzenwettbewerbe einer Sportart nunmal die wichtigsten Vehikel ihrer Öffentlichkeitsarbeit sind. Sie dienen dazu, durchgängig Geschichten zu erzählen, Persönlichkeiten zu bauen, die Szene zu begeistern, sich neue Kompetenzen anzueignen… und schlicht und einfach Geld ins gemeinsame Budget zu spülen, um die Sportart weiterentwickeln zu können. Und weil in den vergangenen Monaten zu viele durchgeschlafen haben, wird Floorball vorerst so sexy bleiben wie ein Wurststand in Hamburg-Veddel – schmeckt nicht, aber macht so satt wie nötig.

Auch die aktuelle Situation beim Dachverband macht wenig Hoffnung, dass Bewegung ins Spiel kommt. Mal wieder verabschieden sich Leute, die noch vor Kurzem frischen Wind angekündigt hatten. Der aktuelle Vorstand hat viel geleistet, hat Strukturen repariert und vor allem die Finanzen stabilisiert. Doch was unsere Sportart jetzt auch braucht, sind mutige Wege. Sie braucht Unterscheidungsmerkmale. Dafür braucht es im Verband nicht nur neue, kreative Köpfe, sondern vor allem neue, kreative Köpfe, die man machen lässt. 

Flucht nach vorne

Die wenigsten Dinge im Leben scheitern an falschen Entscheidungen. Meistens scheitern sie an Untätigkeit. Wer es eher mit Zweckoptimismus hält, der oder die dürfte wohl auf das Ende dieses Sommers hoffen, oder des nächsten – wenn sich dieses dumme Miststück, egal ob als Delta- oder Gamma-Variante, endlich die Zähne ausgebissen hat. Wenn man wieder auf dem Hallenboden steht und den Ball über die Bande nach vorne drescht. Vielleicht kommt dann die Lust auf, die Dinge besser zu machen als vorher, weil einem bewusst wird, wie kostbar uns dieser Sport ist und dass wir ihn mehr hegen und mehr pflegen sollten.

Wie bitter es war, das Final4 2020 eine Woche vor Veranstaltung abzusagen, es ein Jahr später wieder verschieben zu müssen, und dann sogar noch ein drittes Mal. Und trotzdem bleibt es für die, die an ihm mitwirken, das berüchtigte Licht am Ende des Tunnels. Wir dürfen müde und genervt sein, dass gerade alles so umständlich erscheint. Aber statt zu warten, auf irgendetwas oder auf irgendjemanden, hätte Floorball unsere Flucht nach vorne sein können. Er hätte es sein müssen.


Jan Kratochvil ist ehemaliger Herausgeber des Floorballmags und Eventleiter des Final4 sowie langjähriger Bundesliga-Spieler und Trainer.