Mehr Verantwortung übernehmen

Pavel Lubentsov ist den meisten in der Szene bekannt als Goalie des MFBC Leipzig. Doch damit nicht genug, denn das Torhüterspiel liegt ihm genauso am Herzen wie die Entwicklung junger Talente. Dem kommt er in der Rolle des Torwarttrainers der U19-Nationalmannschaft nach. Nun hat er sich dazu entschlossen noch einen Schritt weiter zu gehen und hat einen umfassenden Artikel zur aktuellen Situation der Torhüterausbildung verfasst, aber lest selbst…

Bereits 2019 habe ich in einem Artikel beim Floorballmag ein Umdenken in der Torhüterausbildung gefordert. Die Situation war damals höchst besorgniserregend und bei der Sichtung an der U17 Trophy gab es kaum bis gar keine Konkurrenz um die Plätze in der U17/U19 Nationalmannschaft. In der WM-Kampagne „Brno“ hatte ich zu Beginn der Kampagne, subjektiv bewertet, auf meiner Liste drei potenzielle Torhüter für vier Plätze vorgesehen. Nach heutigem Stand ist erkennbar, dass ein Umdenken stattgefunden hat und die Qualität und auch Quantität der Torhüter in Deutschland einen großen Sprung nach vorne gemacht hat. 2021 in der Kampagne „Frederikshavn“ waren es schon sechs qualifizierte Torhüter. In der aktuellen WM-Kampagne „Schweiz“ sind es bereits acht. Sehr beachtenswert ist dabei auch die regionale Verteilung der Talente. Die Torhüter auf meiner Liste kommen aus vier der fünf regionalen U17 Landesauswahlen zur U19 Nationalmannschaft. An dieser Stelle möchte ich einen großen Dank an die Torhütertrainer der Landesauswahlen und Vereine aussprechen. Ohne deren Arbeit wäre dieser massive Entwicklungsprozess undenkbar gewesen.

Pavel Lubentsov als Coach bei der U19 WM – Foto: Floorball Deutschland

Allerdings erkenne ich leider auch eine qualitative Stagnation, welche unsere Position zwischen den Verfolgern der Top4 Nationen massiv gefährdet. Immer noch müssen wir in der U17 und U19 Nationalmannschaft technische, physische und taktische Grundlagen ausbilden. Die Arbeit der Landesauswahl-Torhütertrainer entlastet uns zwar merklich, ist aber kaum ausreichend, wenn die im Artikel von 2019 bereits angesprochenen „Goldenen Jahre“, etwa im Alter von 9 bis 12 Jahren, in der Entwicklung eines Athleten immer noch nicht effektiv genutzt werden. Ich möchte hierbei nochmal betonen, dass die „Goldenen Jahre“ sehr kritisch zu sehen sind und sich individuell stark unterscheiden. Für mich ist vor allem die Zeitspanne vor der potenziellen Aufnahme in die U17 Landesauswahl entscheidend. Hierbei liegt die Verantwortung offensichtlich bei den Vereinen. Allgemein lässt sich hier sagen, dass in den Vereinen immer noch zu wenig in die Torhüterausbildung investiert wird. Zum Vergleich möchte ich Floorball Köniz als L-UPL Verein in der Schweiz anführen.  Dieser bietet ein wöchentliches Torhütertraining mit mehreren Torhütertrainern an im Rahmen einer vereinseigenen Torhüterschule. Dieses Torhütertraining wird sogar von Torhütern aus anderen Vereinen in der Nähe besucht. Eine solche Struktur macht sich nicht nur intern im Verein massiv bemerkbar, sondern auch auf internationaler Ebene. Hierbei ist vor allem Patrick Eder zu nennen, der sehr lange für das L-UPL Team und die Schweizer Nationalmannschaft aktiv war. Derzeit ist aber auch der aktuelle L-UPL Torhüter, Janis Schwarz, im Aufgebot der U23 Nationalmannschaft und mit Alessio Mura war auch an der U19 WM 2023 wieder ein Torhüter von Floorball Köniz im Schweizer U19 Kader.

In Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich eine Umfrage an die Vereine der Damen und Herren FBL, sowie die Vereine der Damen und Herren 2.FBL gesendet. Von insgesamt 32 angeschriebenen Vereinen haben sich 20 Vereine an dieser Umfrage beteiligt. Da es sich somit nur um 62,5 % der FBL Vereine handelt, kann man nicht wirklich von repräsentativen Ergebnissen sprechen. Dennoch möchte ich an dieser Stelle die Ergebnisse dieser Umfrage vorstellen. Warum wurden nur die FBL Vereine angeschrieben? Unsere FBL Vereine sind Entwickler, Gestalter und Repräsentanten des Leistungssports in Floorball Deutschland und darüber hinaus. Aus dieser Rolle ergibt sich auch ein sehr hoher qualitativer Anspruch an die Ausbildung von Floorballspielern. Weiterhin haben die FBL Vereine tendenziell eher die nötigen Strukturen bzw. das nötige Personal, um gewisse Maßnahmen umzusetzen. Selbstverständlich betrifft der Artikel und die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht ausschließlich die Bundesligavereine, sondern spricht prinzipiell alle Floorballvereine in Deutschland an.

Welche Maßnahmen können Vereine nun durchführen, um die Torhüterausbildung qualitativ zu verbessern?

In erster Linie ist dabei die Weiterbildung der Trainer*innen entscheidend. Die „DOSB-Trainer C Leistungssport, Sportart: Floorball“ Lizenz bietet dabei eine gute Möglichkeit. Die Grundlagen der Torhüterausbildung sind fester Bestandteil der Lizenz und werden durch die Torhütertrainer*innen der National – bzw. Regionalauswahlen vermittelt. Gemäß den Umfrageergebnissen haben 9 von 20 Bundesligavereinen keine*n Trainer*in mit C-Lizenz im Verein. Das ist natürlich ein Zustand, der nicht nur aus Sicht der Torhüterausbildung bedenklich ist. Da C-Trainer*innen durch die Landessportbünde auch finanziell gefördert werden, besteht auch ein gewisser finanzieller Anreiz für die FBL Vereine.

Eine weitere wichtige Maßnahme wäre ein regelmäßiges, im Idealfall wöchentliches Fördertraining für Nachwuchsspieler*innen. 8 von 20 FBL Vereine bieten derzeit gar kein Torhütertraining an. Auch diese Zahl ist ziemlich bedenklich. Dieses Fördertraining kann sowohl Torhüter*innen als auch Feldspieler*innen ansprechen. Es ist enorm wichtig, dass Torhüter*innen die Möglichkeit bekommen außerhalb des Teamtrainings an sich zu arbeiten. Je nachdem wo der Fokus im Teamtraining gerade liegt, kann es häufig Teamtrainings geben, wo man als Torhüter*in kaum Abschlüsse aufs Tor bekommt. Eine eigene Trainingszeit mit hochfrequentierten Abschlüssen oder genügend Platz und Zeit, um torhüterspezifische Grundlagenübungen zu absolvieren ist enorm förderlich für die Entwicklung. Dieses Fördertraining muss noch nicht mal unbedingt von einem Torhüterverantwortlichen/ Torhütertrainer*in geleitet werden. Es geht dabei maßgeblich darum Torhüter*innen Zeit und Raum zur Verfügung zu stellen, um an der eigenen Entwicklung arbeiten zu können.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, woher man diese Hallenzeiten nehmen soll. Dabei möchte ich vor allem auf das Stützpunktsystem der Landessportbünde hinweisen. Zusätzlich möchte ich dazu erwähnen, dass sich meine Informationen auf die Landessportbünde Sachsen und Sachsen-Anhalt beziehen. Bei anderen Landessportbünden könnte es hierbei Unterschiede geben. Landesverbände, welche Mitglied im Landessportbund sind, können Talentestützpunkte für Herren und für Damen nominieren. Diese Nominierung darf jährlich geändert werden und beinhaltet einige Vorteile: Finanzielle Förderung von Stützpunkttrainer*innen, Trainingsmaterial, mögliche Fahrtkosten für Spieler*innen von außerhalb usw. Ein weiterer Vorteil ist eine vorrangige Bearbeitung von beantragten Hallenzeiten im Rahmen dieses Stützpunktsystems. D.h. diese Talentestützpunkte können eine sehr entscheidende Maßnahme nicht nur für die Entwicklung der Torhüter*innen in Deutschland sein, sondern auch für die Entwicklung unserer Floorballspieler*innen allgemein, sofern die Vereine und Floorball Landesverbände diese Verantwortung quantitativ und qualitativ übernehmen.

Sowohl auf quantitativer als auch auf qualitativer Ebene spielt tatsächlich auch die Materialfrage eine wichtige Rolle. Besonders in den jüngsten Teams darf dabei nicht gespart werden. Die erste Berührung mit der Torhüterposition darf nicht durch eine veraltete und abgetragene Torhüterausrüstung geprägt sein. Ebenfalls darf der finanzielle Faktor kein Ausschlusskriterium sein nach dem Motto „Es kann nur derjenige Torhüter werden, der sich eine 500 € Ausrüstung leisten kann“. Auf dieser Ebene sind die FBL Vereine tatsächlich sehr gut aufgestellt. 18 von 20 Vereinen stellen komplett bzw. anteilig den Torhüter*innen bis zur Altersklasse U13 eine Torhüterausrüstung.

Für die Umsetzung dieser Maßnahmen könnte weiterhin eine feste Person zuständig sein (auf organisatorischer und trainingstechnischer Ebene). Auch hier gibt es starkes Entwicklungspotenzial bei den FBL-Vereinen. 11 von 20 Vereinen haben keine*n Torhüterverantwortliche*n im Verein. Ein*e Torhüterverantwortlicher im Verein zeigt nach außen und innen, dass diese stark individuelle und spezifische Ausbildung ernst genommen wird. Zusätzlich nimmt es den Teamtrainer*innen einen gewissen organisatorischen und inhaltlichen Aufwand. Ein*e Torhüterverantwortliche*r muss sich nicht unbedingt inhaltlich mit der Torhüterausbildung auskennen, sondern vielleicht erstmal nur auf organisatorischer Ebene helfen Zeit, Raum und Material zu beschaffen, den die Torhüter*innen nutzen können. Es ist sogar schon hilfreich einfach im Training ein Auge auf die Torhüter*innen zu werfen und ihnen die Möglichkeit zu geben reflektiert über Situationen zu sprechen. Weiterhin könnte diese Maßnahme aber dazu beitragen, dass die Torhüterverantwortliche sich intensiver inhaltlich mit dem Thema beschäftigen werden und die Anzahl der Torhütertrainer*innen ansteigen könnte.

An dieser Stelle möchte ich nochmals gerade die Bundesligavereine der 1. FBL und 2. FBL in die Pflicht nehmen, mehr in die Torhüterausbildung zu investieren. Gerade diese Vereine haben häufig die nötigen Strukturen, Mittel und Personal, um bspw. ein wöchentliches Torhütertraining realisieren zu können. Allerdings sind selbstverständlich nicht nur die Vereine in der Verantwortung dahingehend mehr zu leisten, sondern auch Floorball Deutschland als Dachverband. Besonders besorgniserregend ist hier der Zustand bei den Damen-Nationalmannschaften, wo derzeit keine Torhütertrainer*innen beschäftigt werden.

In der Umfrage habe ich außerdem die Zusammenarbeit der Vereine mit den Torhütertrainer*innen der Landesauswahlen bewerten lassen. Die Ergebnisse sind auch hier sehr ernüchternd, wie die zwei Grafiken zur Frage 9 und 10 zeigen. Ganze 16 von 20 Vereinen haben noch nie in irgendeiner Form mit den Torhütertrainer*innen der Landesauswahlen gearbeitet. Auch hier werden wir versuchen, gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen und bspw. Hospitationen zu ermöglichen. Trotzdem tragen auch hier beide Seiten die Verantwortung. Die Vereine haben die Möglichkeit, die Landesauswahl Torhütertrainer*innen anzufragen für Hospitationen im eigenen Training (oder auch Weiterbildungen usw.).
Gleichwohl müssen aber auch die Torhütertrainer*innen der Landesauswahlen Möglichkeiten bieten und Vereine zu den Lehrgängen einladen oder auch mal von sich aus anbieten, bei einem Training vorbeizukommen.

Ebenfalls müssen wir uns als Bundesverband und als Torhütertrainer*innen der Nationalmannschaften weiterhin um die Erstellung einer DOSB Trainer B-Lizenz im Floorball bemühen sowie spezifischer um die Erstellung einer Torhütertrainer-Lizenz. Aus Gesprächen mit Kolleg*innen aus dem finnischen und schweizerischen Verband weiß ich, dass selbst in diesen Ländern in dem Bereich sehr wenig investiert wird. D.h. hier sehe ich das Potenzial einen großen Sprung an die Top4-Nationen heranzuschaffen, da diese uns noch nicht so viel weiter voraus sind als bei der Ausbildung der Feldspieler unserer Sportart.

Foto: Floorball Deutschland